Einfache Wechselstromrechnung

Einführung

Im folgenden soll kurz veranschaulicht werden, warum es möglich und sinnvoll ist, Kondensatoren und Spulen in Wechselstromnetzwerken mit Hilfe komplexer Zahlen zu beschreiben.

Zur Berechnung von Gleichstromnetzwerken gibt es Grundregeln, zum Beispiel das Ohmsche Gesetz oder die Kirchhoffschen Regeln. Mit Hilfe der komplexen Wechselstromrechnung kann man diese Regeln auch auf Wechselstromnetzwerke mit sinusförmiger Wechselspannung anwenden. Dazu muss man die Kondensatoren und Spulen im Netzwerk auf geeignete Weise mathematisch beschreiben.

Kondensator an Wechselspannung

Man betrachtet zunächst eine Spannungsquelle der Spannung $U.$ An diese soll ein Kondensator der Kapazität $C$ angeschlossen werden. Die Kapazität ist bekanntlich definiert als $$C=\frac{Q}{U},$$ wobei $Q$ die Ladung und $U$ die Spannung ist.

Elektrischer Strom berechnet sich als Ladung pro Zeit, wobei man im vorliegenden Beispiel die differentielle Form dieser Gleichung benötigt. Sie gilt nicht nur für konstante, sondern für zeitlich variable Ströme: $$I=\lim \limits_{\Delta t \to 0}\frac{\Delta Q}{\Delta t}=\frac{dQ}{dt} = \dot{Q}.$$

Alle diese Ausdrücke sind mögliche Schreibweisen dafür, dass man den Strom erhält, indem man die Ladung nach der Zeit ableitet. Die übersichtlichste, die in der Physik sehr häufig verwendet wird, ist $I=\dot{Q}.$

Nun formt man die Formel für die Kapazität um zu $Q = C \cdot U$ und leitet nach $t$ ab. Damit erhält man $$I = \dot{Q} = C \cdot \dot{U}.$$ Diese Gleichung enthält die Ableitung einer Funktion und ist damit eine Differentialgleichung (DGL).

Für die Wechselspannung wählt man den Ansatz $U=\hat{U} \cdot \cos(\omega t),$ wobei $\omega$ die Kreisfrequenz der Schwingung ist. Leitet man nach der Zeit ab, so ergibt sich wegen der Kettenregel (innere Ableitung mal äußere Ableitung) $$I = – \omega \cdot C \cdot \hat{U} \cdot \sin(\omega t).$$

Kapazitive Reaktanz

In der Gleichstromrechnung gilt für den elektrischen Widerstand bekanntlich $$R=\frac{U}{I},$$ wobei $R$ konstant ist. Wie man sieht, würde das Teilen von $U$ durch $I$ im vorliegenden Fall keinesfalls eine Konstante ergeben, vielmehr hätte diese Funktion sogar andauernd Nullstellen im Nenner und damit Polstellen.

Ein mathematischer Trick hilft hier weiter. Die Funktion für $U$ wird um einen Imaginärteil ergänzt. Statt $U=\hat{U} \cdot \cos(\omega t)$ wählt man $U=\hat{U} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}.$ Wie man mit Hilfe der Eulerschen Formel $\text{e}^{\text{i}\phi}=\cos{\phi}+\text{i}\sin{\phi}$ leicht zeigt, bleibt der Realteil der Funktion gleich. Hinzu kommt ein Imaginärteil $U=\text{i} \cdot \hat{U} \cdot \sin(\omega t).$ Erneute Ableitung nach der Zeit und Multiplikation mit $C$ ergibt
$$
\begin{align}
I &= \text{i} \cdot \omega \cdot C \cdot \hat{U} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}\\
&= \text{i} \cdot \omega \cdot C \cdot \hat{U} \cdot \cos(\omega t)
– \omega \cdot C \cdot \hat{U} \cdot \sin(\omega t).
\end{align}
$$
Diese Funktion hat denselben Realteil wie die oben hergeleitete Funktion. Teilt man aber dieses Mal $U$ durch $I$, so erhält man
$$
X_{\text{C}} = \frac{U}{I} = \frac {\hat{U} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}}
{\text{i} \cdot \omega \cdot C \cdot \hat{U} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}}
= \frac{1}{\text{i} \cdot \omega \cdot C}.
$$
Dies ist nun tatsächlich eine konstante Zahl. Ein Vorteil dieser Vorgehensweise ist, dass man die ursprüngliche DGL in eine algebraische Gleichung transformiert hat, welche viel leichter lösbar ist.

Nun soll noch erklärt werden, warum man $X$ statt $R$ verwendet. In der Gleichstromrechnung kommt man mit reellen Widerständen $R$ aus, die in der Wechselstromrechnung zu komplexen Widerständen, sogenannten Impedanzen $Z$ erweitert werden. Der Realteil der Impedanz wird als Wirkwiderstand (Resistanz) $R$ bezeichnet, der Imaginärteil als Blindwiderstand (Reaktanz) $X$. Im Fall eines Kondensators handelt es sich um eine kapazitive Reaktanz.

Spule an Wechselspannung

Kommen wir nun zu den Spulen. Dazu betrachtet wieder eine Spannungsquelle der Spannung $U.$ An diese soll eine Spule der Induktivität $L$ angeschlossen werden. Die Induktivität ist bekanntlich der Proportionalitätsfaktor zwischen der Änderungsrate des Stroms $\dot{I}$ und der Spannung $U$: $$U=L\cdot \dot{I}.$$

Hierbei handelt es sich wie bei der Herleitung der Impedanz des Kondensators um eine Differentialgleichung.

Für den Wechselstrom wählt man den Ansatz $I=\hat{I} \cdot \cos(\omega t),$ wobei $\omega$ die Kreisfrequenz der Schwingung ist. Leitet man nach der Zeit ab und setzt in obige Gleichung ein, so ergibt sich $$U = – \omega \cdot L \cdot \hat{I} \cdot \sin(\omega t).$$

Induktive Reaktanz

Zur Berechnung der Impedanz sollte man nun $U$ durch $I$ teilen. Ebenso wie bei den Kondensatoren ergibt sich dabei ein Problem mit fehlender Konstanz und Polstellen.

Genau wie dort erweitert man die Funktion um einen Imaginärteil, so dass $I=\hat{I} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}$ und $U=\text{i} \cdot \omega \cdot L \cdot \hat{I} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}$, was zu der Formel für die Reaktanz
$$
X_{\text{L}} = \frac{U}{I} = \frac {\text{i} \cdot \omega \cdot L \cdot \hat{I} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}}
{\hat{I} \cdot \text{e}^{\text{i}\omega t}}
= \text{i} \cdot \omega \cdot L
$$
führt. Im Fall einer Spule handelt es sich um eine induktive Reaktanz.

Wieder ist dies eine konstante Zahl und wieder hat man mit Hilfe dieser Vorgehensweise die ursprüngliche DGL in eine viel leichter lösbare algebraische Gleichung transformiert.